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Der schönste Tag eines Lebens

Der schönste Tag meines Lebens. Eigentlich resultierte er nur aus einem einzigen, sehr kurzen Moment, aus ein paar Worten, dahingesagt in weniger als 10 Sekunden, aus vier Wörtern des alltäglichen Sprachgebrauchs und zwei des medizinischen Vokabulars. Dagegen betrug die Zeit zwischen diesem Tag und dem Ereignis, welchen ihn bedingte, ganze 12 Jahre.

Im Mai 1950 wurde mir nach Problemen mit den Augenmuskeln die für mich, eine junge, gerade einmal 25 jährige Frau, niederschmetternde Diagnose gestellt, dass ich MS. Ich ließ mich allerdings nicht unterkriegen, versuchte, so gut wie möglich gegen die Krankheit anzugehen. So aß ich zum Beispiel über eine sehr lange Zeitspanne hinweg nur Rohkost, was mir sehr viel Kraft gab. Desweiteren arbeitete ich auch weiterhin im Büro einer Bank, widmete mich meinen Hobbys und gab der Krankheit möglichst keine Zeit, in meinem Leben einen Platz einzunehmen. 12 Jahre passierte nichts gravierendes, die Diagnose stand zwar, doch spürte ich keine Auswirkungen.

1962 kam ich dann eines Morgens aus dem Büro; ich stand sehr unter Stress aufgrund einiger privater Entwicklungen, die mir Sorge bereiteten und mit denen ich nicht gut zurechtkam. Die Bank war nicht weit von meinem damaligen Zuhause entfernt, weswegen ich die Strecke stets zu Fuß zurücklegte. Als ich mich also auf den Weg machte, merkte ich, dass mein Bein leicht steif war und ein wenig kribbelte. Ich dachte zunächst, es wäre eingeschlafen, obwohl ich mir nicht erklären konnte, wann genau es dazu hätte kommen können, allerdings wurde es im Laufe des Weges immer steifer und auch das Kribbeln verschwand. Überanstrengung war meine nächste Laiendiagnose, doch auch für diese konnte ich keine fundamentalen Argumente finden. Langsam bekam ich es mit der Angst zu tun. Ob dass die MS war? Ob sie mich, nach all den Jahren, doch noch eingeholt hatte? Zwar versuchte ich, diese Gedanken möglichst schnell beiseite zu fegen, aber mulmig wurde mir trotzdem.

Am nächsten Tag humpelte ich ins Büro und erledigte meine Arbeit. Ich spürte noch immer keine Schmerzen im Bein, es war einfach steif, steif und taub. Ich kann mir gut vorstellen, an jenem Tag unwissentlich den einen oder anderen Fehler in der Bank gemacht zu haben, war ich doch sehr zerstreut aufgrund der Furcht vor dem, was der Hausarzt, zu dem ich nach der Arbeit zu gehen gedachte, mir sagen würde. Auch den Weg zu besagtem Arzt legte ich humpelnd zurück, zumal mein Mann mit dem Auto zur Arbeit fuhr und noch nicht wieder zurück war. Außerdem lag auch die Praxis in der Nähe unserer Wohnung. Die Luft war warm und nicht zuletzt aufgrund des Nachmittagsverkehrs dunstig, wie es im Hamburger Spätsommer oft der Fall ist. Ich erinner mich auch noch an ein paar Segelboote auf der Alster, allem anderen schenkte ich keine Beachtung, zu beschäftigt war ich mit mir selbst bzw. mit den Gedanken an mein Bein. Die Stunde, die ich im Wartezimmer verbrachte, war eine reine Qual, die Ungewissheit zerrte an meinen Nerven und ließ mich nervös auf meinem Sitz hin und her rutschen. Doch auch der Doktor konnte diese Pein nicht beenden, stattdessen gab er mir eine Aufbauspritze mit dem Vitamin B12 und überverwies mich an das Krankenhaus. Ich verließ also auch die Praxis, ohne etwas Neues erfahren zu haben, und machte mich auf den Heimweg.

Am nächsten Tag nahm ich mir frei und ein Taxi zum Krankenhaus, da die Strecke dorthin doch etwas weiter war und ich mein Bein, dessen Situation sich nicht verändert hatte, nicht allzu stark belasten wollte. Ich bekam ein Bett in einem 2er-Zimmer, wobei das andere Bett unbesetzt war. Für Krankenhausverhältnisse war das Zimmer ziemlich groß, durch zwei große Fenster, die über Eck gingen und einen nicht sehr berauschenden Blick auf die Straße boten, gelangte außerdem viel Licht hinein, was mir aber erst später auffiel.

Obwohl ich schon gegen 12Uhr eintraf, waren die Untersuchungen erst für den nächsten morgen vorgesehen. Also schlug ich die Zeit tot, las, ohne wirklich mitzubekommen, was ich las, und sah teilnahmslos den Figuren im Fernsehen zu, im Kopf stets Szenarien, was wohl passierte, wenn sich mein Verdacht bestätigte und die MS tatsächlich vorangeschritten war. Ich ging früh zu Bett, konnte aber lange nicht einschlafen und schreckte des Öfteren auf.

Am nächsten Tag wurde ich ins Untersuchungszimmer gebracht, gegen 10 Uhr erfolgte die erste Untersuchung. Puls und Blutdruck wurden gemessen, ein EKG gemacht. Schließlich musste ich mich zu einer Lumbalpunktion der Halswirbelsäule nackt auf eine kalte Metallpritsche legen, als würde ich gleich seziert. Wenn dies der Fall gewesen wäre, es hätte nicht weniger schmerzhaft sein können. Ich weiß nicht, ob der untersuchende Arzt eventuell die Nadel falsch angesetzt hatte, jedenfalls war des der grausamste körperliche Schmerz, unter dem ich jemals leiden musste. Nach dieser einen Erfahrung habe ich auch später nie mehr eine Punktion erlaubt, so prägend war die Erinnerung.

Was ich den restlichen Tag lang machte, weiß ich nicht mehr genau, vermutlich habe ich wieder gelesen und fern gesehen, allerdings noch unaufmerksamer, da ich tierisch gespannt auf die Ergebnisse war, welche am nächsten Nachmittag vorliegen sollten.

Der Arzt, der mir diese Ergebnisse brachte, war noch relativ jung, um die 35 Jahre. Er hatte kurze schwarze Haare und ein blasses Gesicht, glattrasiert. Das auffälligste an ihm waren seine leuchtend hellbraunen Augen, welche die ganze Zeit über ruhig auf mir ruhten. Als er mir die Ergebnisse der Untersuchungen mitteilte, traute ich meinen Ohren kaum: „Sie haben gar keine Multiple Sklerose.“ Sie hätten keinerlei Anzeichen auf eine Multiple Sklerose gefunden! Weder im Bein noch sonstwo, gar nichts, laut den Ergebnissen war ich kerngesund! Ich glaube, ich habe ihn sehr lange mit offenem Mund angestarrt, verwundert und erstaunt über das Gesagte, bis ich schließlich vor Glück die Tränenschleusen öffnete und ohne Unterbrechung zu weinen anfing. Selbst als ich meine Eltern anrief, sie mögen mich bitte abholen, liefen mir die Tränen noch übers Gesicht.

Meine Mutter holte mich ab und als ich zuhause war, führte ich einen laienhaften Glückstanz vor der versammelten Familie auf. Und obwohl es nur sechs Wörter waren, keine 10 Sekunden, so machten dieser Bruchteil meines Lebens diesen Tag zu dem schönsten meines Lebens.

Für Eva.

Tolle Uhr...  
   
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