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Aschenbecher

Der dritte Text, den ich jemals geschrieben hab. Irgendwann nach Frankreich 2004.


„Geh!“ lallte sie. “Geh, und lass dich nie mehr hier blicken! An meinem Busen habe ich dich genährt, dir die Windeln gewechselt, dir meine besten Jahre geschenkt, einfach alles für dich getan, und nun willst du mir das letzte nehmen, was ich noch habe!“ „Ja, Mutter, es ist das letzte. Das Allerletzte“, erwiderte er. Was er damit meinte, den Sinn dieser Worte, das Versteckte bemerkte sie natürlich nicht. Wie auch? Der Alkohol hatte ihrem Gehirn bereits derart zugesetzt, interpretatorische Leistungen wären zu viel erwartet.  Warum versuchte er eigentlich noch, ihr klarzumachen, dass er diesmal wirklich gehen würde? Dieser verdammte Alkohol. Er selber trank auch ab und zu, manchmal auch zu viel, aber seine Mutter war immerzu besoffen. Normalerweise schlief sie noch ihren Rausch aus, wenn er zur Arbeit fuhr, aber heute war er aufgrund von Fieberschüben nicht gefahren. Um elf Uhr, als er aufstand, fand er sie betrunken in der Küche. Der Anblick der Gestalt, die zusammengesunken auf dem Küchentisch hing, machte ihm bewusst, wie sehr der Alkohol seine Mutter verändert hatte. Ihr einst schönes Gesicht war eingefallen, die Augen gelb und schwarz umrandet, die Haare schütt und grau. Er liebte seine Mutter. Er verzieht ihr. Aber sie selber konnte sich nicht verzeihen. Was damals vorgefallen war, zwischen ihr, seinem Vater, seiner Schwester und ihm, sie gab sich für alles die Schuld. Aber die Angst vor dem Mann, der seine Kinder und seine Frau schlug, seine Tochter vergewaltigte und seinen Sohn mit einer Zaunlatte verprügelte, die Angst vor noch mehr Schmerzen, seelisch und körperlich, hatten sie gelähmt.

Er hatte schon oft gelesen, dass Väter ihre Kinder und ihre Frauen im Suff schlugen und verletzten, aber sein Vater war immer nüchtern gewesen. Mit klarer Stimme hatte er Verse aus der Bibel aufgesagt, während er mit einem Pfannenwender auf ihn einschlug. Der eiskalte, alles durchdringende Blick, den keine Tür, keine Wand, kein Haus aufhalten konnte, hatte fast melancholisch geradeaus gesehen, während er mit Vasen, Töpfen und Aschenbechern nach ihnen schmiss. Überhaupt schienen die Aschenbecher nur zum werfen gedacht zu sein, denn niemals war auch nur die Spur von Asche in ihnen.

Irgendwann hat es seine Schwester nicht mehr ausgehalten und ist zur Polizei gegangen. Sie sind gekommen und wieder gegangen. Keiner hat etwas gegen den Vater gesagt. Sie hatten zu viel Angst. Als sie weg waren, zog er seine Schwester an den Haaren ins Schlafzimmer, schmiss sie aufs Bett und vergewaltigte sie. Sie war damals gerade 13 geworden. Aber sie wurde nie 14. Am nächsten Tag fand seine Mutter sie in ihrem Zimmer. Sie hatte sich erhängt.

Seine Mutter brach zusammen, aber anstatt ihr zu helfen, verprügelte der Vater sie. Er schlug auf sie ein, mit allem was er zu fassen bekam, dabei liefen ihm die Tränen übers Gesicht. Das war das einzige Mal, dass er seinen Vater weinen sah. Später konnte er sich nicht mehr richtig erinnern, wie es weitergegangen war, in seiner Erinnerung waren nur Schatten geblieben, sein Vater mit einer langen blutenden Wunde im Gesicht, dann der Vater auf der Mutter, überall Blut. Plötzlich liegt der Vater auf dem Rücken, ein Messer steckt bis zum Anschlag in seiner Brust, die mit Blut überströmte Mutter, der kleine 7jährige Junge, der verzweifelt versucht, Hilfe zu holen, der starre, gebrochene Blick des Vaters. Die Männer, die die Mutter wegbringen, der Junge, der um sich tritt, zu seiner Mutter will und schließlich von einer Nachbarin aufgenommen wird.

An die folgenden Tage und Wochen konnte er sich gar nicht mehr erinnern. Ein Gerichtsverfahren wurde eingeleitet, das Urteil lautete Notwehr, er kam wieder zu seiner Mutter. Aber es war nicht mehr seine Mutter. Sie war tot, gebrochen, erschlagen. Sie versuchte, zu vergessen. Erst alleine, dann mit Alkohol.

Er hasste seinen Vater für alles, was dieser getan hatte. Aber am meisten hasste er ihn dafür, dass er immer nüchtern gewesen war.

 

Zwei Tage nach dem Streit mit seiner Mutter rief diese auf seinem Handy an. Sie sagte, dass sie ihn liebe und ihm alles Gute wünsche. Dann legte sie auf, noch bevor er etwas sagen konnte. Er starrte auf das Handy. Sie hatte nüchtern geklungen. Nicht gelallt. Er wurde bleich. Sprang auf, rannte aus dem Hotel, in dem er gehaust hatte, und sprintete zum Wagen.

 

Er sah es schon von weitem. Das Mietshaus war irgendwie verändert. Nichts äußerliches, er konnte auch nicht genau sagen was, aber etwas fehlte. Langsam stieg er die Treppen hoch, öffnete die alte, von Aschenbechern zerbeulte Tür. Instinktiv ging er ins Bad. Dort badete sie gerade. Er lehnte sich an den Türrahmen und betrachtete seine Mutter, wie sie in der Badewanne lag, umspült von rotem Wasser. Sie sah irgendwie… glücklich aus. Befreit. Friedlich. Die schwarzen Ringe unter den Augen waren weg, ihr Gesicht hatte einen anmutigen Glanz, ihre ganze Aura schien vollendet. Er rief den Notarzt, packte einen Aschenbecher ein und ging. Ging einfach weg. Weg von diesem Ort. Weg von den Erinnerungen. Irgendwohin, wo er verzeihen konnte, denn vergessen würde er niemals.

Tolle Uhr...  
   
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