Ich gehe eine Straße entlang. Dort ist ein Mann, der in einer Ecke sitzt und sich mit einer Deutschlandflagge warmhält. Ich gehe weiter. Ein Mann rempelt mich an, entschuldigt sich, er müsse zur Arbeit. Einer von denen, die das Glück haben, einer Arbeit nachgehen zu können. Einer der glücklichsten in diesem Viertel. Ich schaue mich um. Kinder spielen auf der Straße. Es sieht alles trist und grau aus. Ab und zu ein Blumentopf auf den Fensterbänken, mehr Farbe ist nicht zu sehen.
Ich gehe weiter. Ein anderes Viertel. Keine Betonblöcke mehr, Reihenhäuser. Mit Garten. Farbenfroh und schön. Blumen und Hecken säumen den Straßenrand. Ich begegne Frauen mit Kinderwagen. Die Männer sind alle arbeiten. Ich gehe weiter. Wieder ein anderes Viertel. Keine Reihenhäuser mehr, sondern schöne Häuser, mit großem Garten und einer Garage oder einem Carport. Die Gärten groß und perfekt gepflegt. Holzzäune oder Steinmauern begrenzen die Grundstücke, Kindermädchen schieben Kinderwagen vor sich her. Die Männer sind arbeiten und die Frauen beim shoppen oder beim Friseur.
Plötzlich steht der Mann mit der Deutschlandfahne vor mir. Er schaut mich an und fragt: "Was glaubst du, wer ist glücklicher, die, mit all ihrem Geld, oder ich, mit einer Deutschlandfahne, die mich weder ernährt noch wärmt, da der Kunststoff, aus dem sie gemacht wurde, einen jeden Luftzug spüren lässt?"
"Ich weiß es nicht", sage ich. Er lacht.
"Ja, die Antwort bekomme ich immer wieder zu hören. Niemand weiß es. Und doch glauben alle, ich müsste glücklicher sein, weil ich frei bin und hingehen kann, wohin ich will.
Aber was kann ich mir davon kaufen? Nichts. Ich wurde vergessen, und werde immer wieder vergessen.
Die hier, die vergessen mich. Weil sie nicht daran denken wollen, dass es mich gibt. Sie verdrängen es. Sie alle. Du auch. Du wirst mich auch vergessen. Irgendwann. Weil es dir unangenehm ist, von einem Penner auf einen Fehler aufmerksam gemacht zu werden.
Vielleicht wirst du in deiner Arroganz spenden, dich freikaufen, damit du noch schneller vergessen kannst. Damit du sagen kannst, dass du nicht untätig warst, während du auf deinem Massagesessel vor deinem Computer saßt und dich gefragt hast, von welchem deiner 12 Konten der Betrag abgehoben werden solle. Aber du bist nicht der einzige. Es kommt nicht oft vor, dass sich jemand erinnert. Und dieser eine kann tun was auch immer er will: Es wird trotzdem vergessen."
Er verschwand. Lange starre ich ihm nach, wie er da geht, mit der Deutschlandfahne um die Schultern. Einer Deutschlandfahne, die nicht warmhält.